Eso isch es früehne gsee…

DORFGESCHICHTE VON BRÜLISAU

Das heutige Pfarrdorf wird erstmals um 1350 als «Brünlisouw» erwähnt. Die Au des Brunlin scheint aber ein bis zwei Jahrhunderte älter zu sein,
worauf nicht nur die Bildung des Ortsnamens analog zu Rapisau und Meglisalp, sondern auch die Tatsache, dass der Standort der spätern
Kapelle und Kirche eine Exklave der Lehner Rhod bildete, hindeuten. Seit dem 16. Jahrhundert wird die Gegend auch Oberdorf genannt s. Die Au an den beiden Ufern des Brüelbachs zählte anfänglich nur Einzelhofsiedlungen, wahrscheinlich auch einen wehrhaften Turm, den um
1370 – 1390 Jäckli Entz bewohnte, der mit 208 Mark liegender, 157 Mark fahrender Habe, 5 Panzern und Hauben, 10 Handschuhen und einer Armbrust der reichste Innerrhoder war. Die Dorfbildung setzte erst nach der Errichtung der Sebastianskapelle (1478), der Erhebung zur Filiale (1647) und der Errichtung der Pfarrei (1845) ein. Brülisau hat sich wohl zu einer guten Pfarrei und Schulgemeinde (seit der Helvetik) entwickelt,
nie aber zu einer eigenen politischen Gemeinde. Es bildete, abgesehen von der Lehner Enklave mit der Kirche, einen Teil der Rütner Rhod. Seit
1872 ist es dem Bezirk Rute zugeteilt, wobei die Höfe links des Brüelbachs zum Bezirk Schwende gehören.

Lage und Anlage

Das Dorf am Fuss des Hohen Kastens liegt auf 922 m Höhe ü. M. am Endpunkt der beiden Straßen von Weissbad und Steinegg über dem rechten Ufer des Brüelbachs. Um Pfarrkirche und Friedhof scharen sich in lockeren Abstand im Osten das 1869 gebaute, 1880 wegen Friedhoferweiterung versetzte Pfarrhaus, im Norden das an Stelle des alten Pfrundhauses 1894 – 1896 errichtete Schulhaus, im Osten zwei Gasthäuser, das 1886 eröffnete Rössli und die bereits 1607 als Schildwirtschaft erwähnte, 1964 im Appenzeller Kolossalstil umgebaute Krone, dazwischen eine um 1900 erbaute Spezereihandlung und zwei nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Häuser. Den Südwestabschluss bildet der typisch innerrhodische Blockbau des Mesmerhauses. An der einst freien wiesengrünen Südflanke der Kirche weitet sich jetzt ein großer Parkplatz und erhebt sich der Zweckbau der Talstation der Schwebebahn nach dem Hohen Kasten. Brülisau ist ein Beispiel einer jungen, durch den Tourismus neuester Zeit aufgeblähten Dorfbildung.

 

AUS DER BRÜLISAUER SCHULGESCHICHTE

Die Brülisauer Schulgeschichte beginnt im Jahre 1647. Am 7. September dieses Jahres errichtete der Landrat – der Vorgänger des Grossen Rates – die Filialkuratie Brülisau. Im Stiftungsbrief, welcher sich jetzt in unserem Landesarchiv in Appenzell befindet, wird der jeweilige Filialkurat verpflichtet «Schuelhalten, oder halten lassen, entgegen ihme billiche belohnung deswegen beschehen solle.» Da allerdings häufig Vakanzen eintraten, dürfte der Schulerfolg gelegentlich gelitten haben. Aus einer Umfrage des Jahres 1799 zu schliessen, unterrichtete noch immer der Filialkurat. Es war zu diesem Zeitpunkt Blasius Burgstaller, von Waldkirch, welcher seiner Oberbehörde u. a. schrieb:

«Die gröste Entfernung ist 3 viertel Stund und so weiteres, es wird in 2 Theil abgetheilt. Brüllisau und Schwarzenegg. Von beyden örthern kommen 82 Kinder Bueben und Mädel, die vorige Lehrarth wäre lesen, schreiben, und nur 3 quartel im Winter wird Schuel gehalten, vormitag allein man gab sich gar keine Müehe, die Kinder zu lehren, kurz sie sind verwildert, ich traf alles im Elendesten zustand an machte entlich einige Versuchungen, und traf zum grössten erstaunen die herrlichsten Talenten, ich führte mit diesen rohen Kindern ein Theaterstükh vom Kinderfrüend auf, guette Kinder der Eltern grösster Reichtum, durch dieses Stükh wurden alle von hochen und nidern stands in Erstaunung gesetzt. Also unverantwortlich, dass man diese kleinen Alpenbewohner erstikhen liesset.»

Bald darauf scheint diese Schule eingegangen zu sein. Der Zustand der Innerrhoder Schulen um 1800 war allgemein bedenklich. Der deutsche liberale Arzt Johann Gottfried Ebel vermerkt beispielsweise über den Lehrer von Appenzell: «In dem Flecken Appenzell ist ein Schulmeister, der selbst nicht recht lesen und schreiben kann, angestellt.»

1825 konnte eine Schule auf Schwarzenegg eröffnet werden. Diese Schule umfasste auch nur einen Winterkurs, wurde hingegen erstmals vom Staate unterstützt. Der Lehrer verdiente 50 Gulden (ca. Fr. 105.-), nach 1853 waren es Fr. 750.- im Jahr.

Schliesslich wurde die Schule wieder nach Brülisau selber verlegt, und zwar ins Schulhaus, das heutige Mesmerhaus. Pfarrer Falk berichtet über diesen Schulbetrieb: «Das Unterrichtslokal war eine alte, niedere Stube, in der ein breiter Tisch stand, um den sich die Kinder setzten. Waren mehr als dieser Tisch voll Kinder erschienen, so behalf man sich, wie man eben konnte.» Unterrichtet wurde Lesen, Schreiben und Rechnen. Am 9. Mai 1860 konnte das Schulhaus durch die Kirchen- und Schulverwaltung erworben werden.

Auf Initiative von Pfarrer Jakob Schlipfer wurde 1853 ein Schulrat gegründet und am 20. November 1853 eine erste Brülisauer Schulverordnung erlassen. Danach musste der Lehrer vom September bis Juni täglich am Vormittag zwei Stunden unterrichten. Anhand von Tabellen musste der Schulbesuch genau überprüft werden. Renitente Eltern konnten vor den Schulrat zitiert und gebüsst werden. Der Lehrer war zugleich auch Mesmer. Die Brülisauer Schuljugend muss damals sehr tanzfreudig gewesen sein: Ziffer 6 der erwähnten Schulverordnung besagt nämlich: «Allen schulpflichtigen Kindern ist das Tanzen in Wirtshäusern und nächtlichen ‚Spinenen‘ gänzlich untersagt. Wer Kinderspinenen veranstaltet, soll vor Schulrath zitiert werden.»

Am 9. April 1876 beschloss die Kirchhöri von Brülisau, anstelle eines Lehrers zwei Menzinger Schwestern zu berufen. Diese Regelung bestand bis 1896. Da der Grosse Rat die Fortbildungsschulen einführte, musste man für die Ober- und Fortbildungsschüler einen Lehrer anstellen. Deshalb änderte die Schulgemeinde vom 7. Juni 1896 die bisherige Regelung.

1878 konnten die geänderten Schullokale bezogen werden. Damit hatte jede Lehrschwester endlich ein eigenes Schulzimmer.

Die Fortschritte im Schulwesen durch Ausbau von Lehrprogrammen und Schulobligatorium bedingten mit der Zeit ein neues, grösseres Schulhaus mit hellen Zimmern. Die denkwürdige Schulgemeinde vom Ostermontag (26. 3.) 1894 beschloss daher, ein neues Schulhaus zu erbauen. Pfarrer Falk schenkte dazu Boden im Ausmass von 1800 m2, sodass die Kosten dann nur auf ca. Fr. 47 000 zu stehen kamen. Der Grosse Rat bewilligte am 30. Oktober 1896 einen Staatsbeitrag von einem Drittel der anrechenbaren Kosten (Fr. 15 000.-). Die Einweihung fand am 26. Oktober 1896 statt. Nach der Messe wurde das Schulhaus durch den Erziehungsdirektor, Landammann Edmund Dähler, und das Mitglied der Landesschulkommission, Pfarrer Bonifaz Räss von Appenzell, der Schuljugend übergeben. Daran schloss sich ein Imbiss im Restaurant «Rössli» an. Der Appenzeller Volksfreund bemerkt, das Schulhaus umfasse «sogar eine sehr grosse Turnhalle, welche auch für Gemeindeversammlungen benützt werden wird.» Damit war Brülisau mit Steinegg die erste Gemeinde im Kanton, die eine Turnräumlichkeit geschaffen hat. Nicht alle Oberdorfer waren indes vom Turnen begeistert. So drückt ein Leserbrief im Appenzeller Volksfreund vom 9. Februar 1895 folgende Meinung aus: «Nä, Du, s’Turne ist das Johr nütz ond anderi Johr wers nüd viel anders hässe, me hei anders z’thue, sägid öseri Bure. Leb wauhl.»

Die Brülisauer haben 1896 Anlass zur Schaffung einer neuen Schulverordnung gegeben: 1895 war ein Vater mit 1 Franken Busse belegt worden, weil sein Sohn dreimal die Fortbildungsschule geschwänzt hatte. Auf Rekurs hin hob das Bezirksgericht Appenzell die Bussenverfügung des Schulrates Brülisau mangels genügender gesetzlicher Grundlage auf. Es fügte dem Urteil noch bei, der Beschluss des Schulrates sei «in Leidenschaft» erfolgt. Bald befassten sich mit dieser Geschichte unsere Lokalpresse, der Schulrat, die Standeskommission und schliesslich wieder das Gericht. Die Standeskommission erklärte, sie habe zwar keine Kompetenz in dieser Angelegenheit, müsse den Entscheid des Bezirksgerichtes hingegen doch kritisieren. Dies hatte zur Folge, dass eine neue Schulverordnung geschaffen wurde. Die Revisionsbedürftigkeit war indes schon lange bekannt, viele Verbesserungen schon längere Zeit in Prüfung. Diese Brülisauer Ein-Franken-Geschichte löste dann die Revision aus. Die Verordnung vom 30. Oktober 1896 blieb bis zur Landsgemeinde vom 25. April 1954 in Kraft. Sie war damit wohl einen Franken wert.

1858 wurde für Appenzell I. Rh. der obligatorische Schulbesuch eingeführt. Wie uns die Absenzenzahlen und Büssungen beweisen, war diese Institution nicht besonders beliebt. Bis 1954 betrug das Obligatorium 7 Jahre. Nach der Neuregelung durch die Landsgemeinde vom 25. April 1954 entschloss sich Brülisau für den Typ D (15 Stunden, also Halbtagsschule und Zeit für den Handarbeitsunterricht). Dieser Zustand dauerte bis Ostern 1972. Die Landsgemeinde 1971 beschloss nämlich eine Revision des Gesetzes über das Volksschulwesen vom 25. April 1954 in den Art. 18 und 19 und dehnte damit die Schulpflicht auf 8 Jahre aus. Die Halbtagsschule war nun nurmehr für die erste und zweite Primarklasse zulässig. Für das siebte und achte Schuljahr wurden im Gringelareal in Appenzell Abschlussschulen geschaffen.

Verwendete Literatur:

Stiftungsbrief 1647, in: WILD Anton, Das Kollaturrecht des Grossen Rates von Appenzell I. Rh., diss. jur. Fbg., Appenzell 1945, S. 246-249
Protokolle des Grossen Rates (ab 1778), der Standeskommission (ab 1816) und der Landesschulkommission (ab 1896)
EBEL Johann Gottfried, Schilderung des Gebirgsvolkes von Appenzell, Leipzig 1789, S. 161

FALK Carl Augustin, Brülisau. Die «päpstliche» Pfarrei am Fusse des Hohen Kastens. Beschreibung und Geschichte der Pfarrei Brülisau im Kanton Appenzell I. Rh., Appenzell 1892, S. 40-44
GROSSER Hermann, Die appenzell-innerrhodischen Antworten über das Schulund Kirchenwesen auf die Rundfrage von 1799, in: Innerrhoder Geschichtsfreund 18 (1973) 48-85, spez. S. 72-73
SIGNER Jakob, Chronik der appenzell-innerrhodischen Liegenschaften, in: App. Geschichtsblätter 14 (1952) Nr. 7 vom November 1952, S. 4
Appenzeller Volksfreund, Nrn. vom 12. 6.1886, 24. 3. und 28. 3.1894, 9. 2.1895, 11. 1., 24. 10. und 28. 10. 1896

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